Erschreckend, doch nicht hoffnungslos. Prozessbericht gegen die Leitkultur

Zunächst das Ergebnis: Der Prozess am Amtsgericht München gegen Simon Mirwald, Landesvorsitzender der SJD – Die Falken Bayern, wurde am 27.11.2018 eingestellt. Als Auflage muss Simon 1000 Euro an Amyna bezahlen, einen Verein zum Schutz vor sexualisierter Gewalt.

Dieser Prozessausgang ermutigt uns, weiterhin für gesellschaftlichen Fortschritt zu streiten oder – wie Simon zu Prozessbeginn sagte – „nicht einfach zuzusehen, wie hart erkämpfte Rechte einfach über den Haufen geworfen werden“.

Der Prozess erschreckt uns, weil er wieder einmal beweist, dass frei konstruierte Vorwürfe durch einzelne Polizist*innen unmittelbar zu einem Gerichtsprozess mit drohender jahrelanger Gefängnisstrafe führen können. 

Der engagierten Verteidigung ist zu verdanken, dass diesmal nicht einfach unkritisch und unreflektiert Aussagen von USK-Polizeibeamten für bare Münze genommen wurden. Die interessierte Öffentlichkeit sorgte für eine Überfüllung des Gerichtssaals. Raunen und Kopfschütteln gab es im Zuschauerraum vor allem bei den Aussagen des vermeintlich beraubten Polizisten. Dieser erinnerte sich zwar noch an ein angeblich nur wenige Sekunden dauerndes Gerangel und den „Raub“ seines „Reizgassprühgeräts“, aber extrem schlecht an Ereignisse davor und danach, auch nicht an die Inhalte der Nachbesprechung des Einsatzes oder andere wichtige Details. 

Was er noch wusste: Dass Demonstranten wie Simon ihm im Weg waren, vor ihm „getänzelt“ hätten und er ihn habe beiseite schieben müssen, was er als ein „Streicheln“ beschrieb. 

Nachdem zwei andere Polizeibeamte einen Raub nicht bestätigen konnten und einander überdies in Skizzen widersprachen schlug das Gericht die Einstellung des Verfahrens vor. Es sei ja kein politisches Verfahren, so der Richter, sondern eine sachliche Ermittlung nach einer Tat. Doch tatsächlich stecken auch hinter diesem Prozess hochpolitische Entscheidungen.

  • Warum etwa hat die Polizei überhaupt gefährliche Pfeffersprays, die Beamten runterfallen können, bei friedlichen Demos dabei? 
  • Warum gibt es keine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen, so dass man auf den zahlreich vorliegenden Fotos der Demo Einzelne identifizieren könnte?
  • Warum gelten Polizeiangehörige grundsätzlich als glaubwürdig, auch wenn sie abstruse Vorwürfe konstruieren? Der angeblich geschädigte Beamte meinte sinngemäß: „Mir hat jemand auf einer Demo ein Pfefferspray zu klauen versucht, und dann ist er noch eine Stunde in meiner Sichtweite mitgelaufen“. 

Für uns ist klar: Wir lassen uns weder auf der Straße noch vor Gericht kriminalisieren. Gefährlich sind nicht wir Demonstrant*innen, sondern vielmehr die Gesetze, gegen die wir auf die Straße gehen. Mit Simon und seinen Worten: gegen „eine durch und durch rassistische Gesetzgebung“, gegen „Unterwerfung unter eine bayerische bzw. christlich-abendländische Leitkultur“, gegen den „massiven Ausbau polizeilicher Befugnisse“ werden wir „weiterkämpfen für eine freie und demokratische Gesellschaft, in der die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen der Vergangenheit angehört.“

Lasst uns „die versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!“ (Karl Marx) – aber bitte ohne dass wir uns dabei von Polizisten „streicheln“ lassen müssen.